Eine lange Entwicklungsphase liegt hinter der bemerkenswerten Neuerscheinung »Typohacks«, die dem komplexen Thema der gendersensiblen Sprache und Typografie gerecht werden und an die Hand nehmen möchte. Nicht nur für Gestalter*innen ein lesenswertes Buch – wir haben für Sie hineingeblättert.
Kaum ein gesellschaftliches Thema – Corona einmal ausgenommen – erhitzt die Gemüter derzeit so sehr wie das Bestreben, eine gendergerechte Sprache zu etablieren. Die einen sehen darin den Untergang des Abendlandes, die anderen eine zeitgemäße Notwendigkeit. Vielleicht liegt der Schlüssel zur Entschärfung des Konflikts wie so oft in der Wissensvermittlung: Wie kann eine gendersensible Sprache und damit auch die entsprechende typografische Umsetzung gelingen?
Wissen gegen den Zweifel
Autorin Hannah Witte erarbeitete gemeinsam mit dem form Verlag über ein Jahr an dem Projekt »Typohacks«. Was mit einer erfolgreichen Crowdfunding-Aktion seinen Anfang nahm, ist nun auf 244 Seiten manifestiert: Eine intensive Auseinandersetzung mit unserer Sprache, unseren Gewohnheiten und unserer Wahrnehmung. Der Band soll Ratgeber und Handbuch sein – einerseits für professionelle Gestalter*innen, andererseits für alle, die sich mit dem Gendern auseinandersetzen möchten. Hannah Witte geht der Wirkmacht von Sprache nach, der Sprachhandlung in der Gestaltung, aber auch der (Anti-)Diskriminierung im Alltag. In Interviews und Analysen spürt sie den Ist-Zustand auf und öffnet an vielen Stellen selbst sprachsensiblen Menschen die Augen.
Von der Theorie in die Praxis
Ausgehend von gängigen binären Formen veranschaulicht Hannah Witte verschiedene Methoden einer gendergerechten Sprache und erläutert die praktische Umsetzung. Auch ein Beitrag zur Orthotypografie enthält dabei Einzug – ein Aspekt, der oftmals in der Diskussion vernachlässigt wird. Welche Verantwortung Typografie ganz generell trägt, thematisiert Hannah Witte ebenfalls, denn: »Typografie ist immer politisch, denn es gibt keine neutrale Schriftwahl, keine sachliche Satzart und keine wertelose Hierarchie«. Die gängigen Kritikpunkten an einer gendergerechten Sprache seziert die Autorin darüber hinaus mit – natürlich – sprachlicher Präzision und lässt keinen Zweifel daran, dass die gesellschaftliche Akzeptanz auch vom Fingerspitzengefühl der Gestalter*innen abhängen wird.
Vom Ratgeber zum Handbuch
Ein Praxisteil veranschaulicht im Anschluss die Wirkung verschiedener Gendermöglichkeiten in unterschiedlichen Schriften. Er untersucht beispielsweise Konflikte mit bereits erlernten Zeichen, wie dem * als Fußnotenmarkierung oder des Geburtsdatums, und zeigt die Wirkung variabler Positionierungen des Gendersternchens auf. Dass es dabei nicht immer beim Status Quo bleiben muss, sondern durchaus die Chance besteht, ganz neue Zeichen einzuführen, bildet nicht nur einen runden Abschluss dieser umfassenden Betrachtung, sondern gibt Typograf*innen eine Aufgabe mit auf den Weg: Seid kreativ!
Gedruckt wurde »Typohacks – Handbuch für gendersensible Sprache und Typografie« (244 Seiten, Fadenbindung, Verlag form, 35 Euro) auf Munken Print White (Cover: Grenita).
Papier: Munken Print White / Grenita