Ebenso spannend wie die Ergebnisse des traditionsreichen Wettbewerbs »Die Schönsten deutschen Bücher« der Stiftung Buchkunst, ist die jährliche Dokumentation hierzu. In jedem Jahr wird diese von einem anderen Designbüro konzipiert und gestaltet. 2024 realisierten die Kreativen von Neue Gestaltung (Berlin) den Katalog und nahmen dabei einen überraschenden Perspektivwechsel vor.
Die formalen Aspekte eines Printobjekts, allen voran die Materialwahl, schaffen stets eine weitere Ebene und unterstützen in vielfältiger Weise die Botschaft. Dass damit auch ein spannender Perspektivwechsel gelingen kann, wird am diesjährigen Katalog der »Schönsten Deutschen Bücher« besonders deutlich. Mit sechs verschiedenfarbigen Papieren (Carneval citron, ocker, eosinrot, moosgrün und blau, 80 g/qm sowie Design Offset, 100 g/qm) präsentiert sich dieses Mal der Innenteil, was zur Konsequenz hat, dass die prämierten Bücher in Schwarzweiß Einzug fanden. Diese Papierwahl verlieh der Dokumentation einen überraschenden Shift: Im Mittelpunkt steht nun der Wettbewerb sowie der Jurierungsprozess an sich. Diese Sichtweise verstärkten die Kreativen mit der Platzierung der originalen und handschriftlichen Kommentare der diesjährigen Jurorinnen und Juroren am jeweiligen Siegerobjekt. Die hierdurch erzeugte persönliche Anmutung, regt den Lesenden tatsächlich dazu an, sich nicht nur mit Fakten rund um das jeweilige Buch, sondern mit Bewertungskriterien und manches Mal unsichtbaren formalen Aspekten zu beschäftigen.
Auch der Katalogtitel »Ja, ja, ja« ist dem Bewertungsbogen von »Holy Smoke« entnommen – Gewinners des Preises der Stiftung Buchkunst. Er ziert ein reines Leinenmaterial ohne Aufkaschierung, was den Buchblock flexibel und haptisch geschmeidig macht. Überdies sorgt ein fein austariertes Raster mit klaren Sichtachsen ebenso für Lesevergnügen, wie die Beschränkung auf nur einen Font – »Rhymes«, eine zeitgemäße Modifizierung der klassischen Times –, der in drei Größen Dynamik ins Spiel bringt. Extensiv nutzen die Gestalter zudem das vorgegebene Format und platzierten die Texte nahe dem Anschnitt.
So ist der Katalog aufgrund des Konzepts eigentlich ein eigenständiges Buch und damit eine weitere Überraschung in der Riege der Wettbewerbsdokumentation der Stiftung Buchkunst. Von Jahr zu Jahr wird die Herausforderung für die kommenden Gestalter größer, eine ganz eigene Interpretation zu (er)finden. Wir sprachen mit Pit Stenkhoff, Mitgründer von Neue Gestaltung, über den Entstehungsprozess.
Interview mit Eva Wendel und Pit Stenkhoff (Neue Gestaltung, Berlin)
Wie seid Ihr zu Beginn an die Gestaltung des Katalogs der »Schönsten Deutschen Bücher« herangegangen? Analysiert man da zunächst alle Vorgängerbände?
Natürlich war diese Aufgabe für uns eine Herausforderung, die wir sehr gerne annahmen. Und man schaut schon erst einmal, vielleicht auch ein wenig eifersüchtig, darauf, was die Gestalter vor einem konzipiert und vor allem sehr gut gemacht haben. Bei der Durchsicht der früheren Kataloge war abzulesen, dass mit der Zeit die »Materialschlachten« weniger wurden. Gerade die letztjährige Dokumentation war sowohl formal als auch in puncto Typografie sehr reduziert und klar – eine tolle Arbeit. Das war zugleich unsere Messlatte.
Wie viel gestalterische Freiheit wurde Euch denn eingeräumt?
An und für sich hatten wir eine Carte Blanche. Festgelegt war dabei nur die Größe sowie das Gewicht, das für den ökonomischen Versand unter einem Kilo liegen musste.
Ihr habt für den Innenteil sehr kräftige Papierfarben gewählt. Wie kam es dazu?
Wir erhielten von der IGEPA eine Auswahl verschiedener Sorten – gestrichene und ungestrichene weiße Sorten mit verschiedenen Oberflächenstrukturen. Hinten in der Mappe waren dann noch sehr kräftige, farbige Papiere, die man wahrscheinlich im Normalfall für ein Buchprojekt eher überblättern würde. Wir waren hingegen von diesen bunten Papieren sofort begeistert und wollten damit dem Katalog Struktur verleihen. Natürlich stellten wir Überlegungen an, ob in der Konsequenz Schwarzweißabbildungen der prämierten Titel funktionieren würden – das klappte aber hervorragend.
Mit diesem Konzept habt Ihr den Fokus auch ein wenig von den prämierten Titeln abgerückt und stellt den Wettbewerb sowie die Jurierung in den Fokus. War das Euer Ansinnen?
Ganz genau. Wir wollten beides miteinander verzahnen. Bei einer reinen Präsentation wirken die Bücher ein wenig entrückt, in unserem Konzept werden sie mit dem Wettbewerbsgeschehen verknüpft. Diesen Ansatz verfolgten wir weiter, indem wir die originalen Bewertungen, die Plus- und Minuspunkte zu jedem prämierten Titel abbilden. Damit wird eine emotionale Stimmungslage vermittelt und die unterschiedlichen Handschriften erzeugen eine grafische Spannung.
Somit habt Ihr eigentlich keinen Katalog gestaltet, sondern ein Buch konzipiert, das über die reine Information hinausgeht …
Das kann man so sagen. Der Buch-Charakter wird auch durch seinen Umschlag verstärkt: Hier wählten wir ein Leinenmaterial aus, das normalerweise aufkaschiert wird. Bei uns kommt es als Rohmaterial zum Einsatz, um Elastizität zu gewährleisten.
Ihr habt zudem mit einem einzigen Font gearbeitet. Könnt Ihr dazu etwas sagen?
Im vergangenen Jahr kam die Arial zum Einsatz, da wollten wir natürlich einen Konterpunkt setzen. Die Rhymes ist eine wunderbare Neuinterpretation der klassischen Times – meiner Meinung nach eines der besten Times-Derivate. Mit diesem Font haben wir das größtmögliche Gegenüber zum Vorgängerkatalog gesetzt und beschränken uns hier jedoch auf drei Größen, die funktionsorientiert zum Einsatz kommen.
Der Katalog ist von einem sehr klaren Raster gekennzeichnet, dennoch habt Ihr Euch Freiheiten erlaubt, wie bei der Platzierung der Paginierung …
Bei den Zwischenseiten wandert die Paginierung tatsächlich nach unten, da sich hier die Sichtachse verändert. Ich bin ein großer Freund von klaren Vertikalen oder Horizontalen und auf diesen Seiten wirkt die Paginierung als Element am Fuß stärker. Zudem haben wir es uns erlaubt, die Paginierung gelegentlich mit den gezeigten Bewertungen zu überlappen – dies unterstreicht nochmals den Bühnencharakter, den dieser Katalog haben sollte.
Ich spiele einmal des Teufels Advokaten: Denkst Du, Pit, manche Buchgestalter der Siegertitel ist vergrämt, weil seine Arbeit »nur« in Schwarzweiß gezeigt wird?
Tatsächlich habe ich schon darauf gewartet, dass uns hierauf eine Gestalterin oder ein Gestalter anspricht, aber das ist bislang ausgeblieben. Ich denke, der dokumentierende Charakter wird verstanden und angenommen. Zudem ist eine schwarz-weiße Darstellung heute so ungewöhnlich geworden – sie fordert vielmehr Aufmerksamkeit und Konzentration.
Auch die Stiftung Buchkunst war sofort von diesem Konzept überzeugt, oder?
Ja, wir konnten unsere Idee stringent verwirklichen. Das war wirklich sehr schön.