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Der Weg zum Buch

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Wie müssen Bücher heute aussehen? Welche Aufgabe können sie erfüllen? Worin liegt ihr besonderer Zauber – in der Entstehung, aber auch für den Lesenden? Dr. Isabel Naegele-Spamer und Dr. Petra Eisele lehren an der Hochschule Mainz, forschen am Institut Designlabor Gutenberg und publizierten bereits einige Forschungsprojekte gemeinsam in bemerkenswerten Büchern. Mit »Moholy-Nagy und die Neue Typografie« gelang es ihnen, das Medium erneut neu zu definieren. Mit an Bord war hier auch die Berliner Designerin Julia Neller – im Gespräch ergründeten wir die Bedeutung des Buches. 

Ihr habt bereits mehrere Bücher gemeinsam gestaltet – wie kann man sich das Pingpong-Spiel zwischen Euch vorstellen?

PE: Man muss vielleicht vorwegschicken, dass es sich bei unseren Büchern immer um größere Forschungsprojekte handelt, die ungefähr drei Jahre umfassen. Bei »Moholy-Nagy und die Neue Typografie« entdeckten wir während des vorangegangenen Forschungsprojekts (»Futura«) in einer kleinen Fußnote, dass es in der Kunstbibliothek Berlin eine Ausstellung über den Künstler geben soll, die man noch nie gesehen hat – außer in der Zeit, in der sie entstand, also im Jahr 1929. Das sind Momente, in denen man anfängt, Enthusiasmus zu entwickeln. Und dann ist es wiederum ganz gut, wenn man zu zweit oder wie in diesem Fall zu dritt ist und einander befeuert. Es ist tatsächlich eine Mischung aus Forschungsgeist und persönlicher Begeisterung, die uns über die Jahre trägt. 

IN: Das Projekt entstand im Rahmen des Bauhausjahres – und für uns war sofort klar, dass dieses Thema das Licht der Welt erblicken muss. Hier war für uns nicht nur die Recherche wichtig, denn wir machen keine klassischen Forschungsberichte – für uns sind diese Bücher die Forschungsprojekte. Bei Moholoy-Nagy war es uns ein Anliegen, quasi eine Ausstellung im Buch umzusetzen. Wir überlegten, wie man das Thema über das Medium besonders attraktiv und über ein Expertenpublikum hinaus spannend kommunizieren kann. Wir wollten das Medium Buch in seinen Möglichkeiten auszureizen und Inhalte lesegerecht machen. Der klassische Ausstellungskatalog hat sich ohnehin überholt, wie sich aus Gesprächen mit Museen immer wieder heraushören lässt, die nur noch kleine Auflagen planen. Wie kann man diese Themen aber mit kleinen Anlesetexten gut teasern, bevor es in die Tiefe geht? Wir haben die Lösung einerseits in einem Bilderpart und andererseits in assoziativen Texten gefunden, angereichert mit alphabetisch sortierten Stichworten zur Typografie. Es ist also kein langes lineares Lesen durch Textwüsten. 

PE: Die Lesegewohnheiten haben sich ja ohnehin verändert – wir lesen immer noch viel, aber wir lesen anders. Nicht mehr so konzentriert und schon gar keine langen Texte. Darin liegt aber auch die Chance, Wissen nochmal ganz anders aufzubereiten. Wir müssen das Verhältnis von Bild und Text wie ein Kurator viel genauer im Blick haben. Was möchte ich eigentlich sagen und wie spricht das Motiv dazu? Hierfür müssen Bilder gesucht und ausgewählt werden, die ungewöhnlich sind, die den Blick auch mal stoppen und trotzdem dafür sorgen, dass man schließlich wieder in den Text findet. Es handelt sich um eine ganz neue kulturelle Fähigkeit und Technik, die man in der Buchgestaltung berücksichtigen muss. 

Das Blättern im Buch gleicht tatsächlich einem Gang durch eine Ausstellung, bei dem man mal hier und da an einem Schaukasten länger stehenbleibt … 

PE: Ja, so ist das Buch angelegt. Dabei hatten wir das Glück, dass diese Ausstellung von Moholy-Nagy 1929 bereits als Tafelausstellung konzipiert war – ein für die damalige Zeit sehr progressives Konzept. Als Wanderausstellung entwickelt, brachte er seine wichtigsten Beispiele für die Neue Typografie – also Originale – auf Pappen auf und verfasste gleichzeitig einen einführenden Text dazu, der als ein Manifest über die zukünftige Entwicklung der Typografie zu lesen ist. Diese Kombination des Textes mit den großformatigen Abbildungen auf den Pappen eigneten sich besonders gut für unser Konzept. Das Schöne ist, dass das Buch auch ins Englische übersetzt wurde und wir dadurch viele Rückmeldungen aus dem Ausland erhalten. Wir haben für dieses Thema, für diese Ausstellung aus dem Jahr 1929 einen großen Interessentenkreis geschaffen – nicht nur in Deutschland. 

Ihr seid beide forschend tätig, zum Teil auch Designerinnen, dennoch war es Euch wichtig, Julia Neller als Gestalterin mit ins Boot zu holen, oder?

IN: Petra und ich bilden quasi ein Kernteam, recherchieren gemeinsam und entwickeln eine Buchkonzeption mit Gliederung und Musterseiten. Aber dann nehme ich immer gerne eine Co-Gestalterin wie Julia mit dazu, die im Pingpong die Durchgestaltung, Reinzeichnung und Produktion übernimmt. Dabei ist es natürlich wichtig, dass man eine gemeinsame Sprache spricht. Julia hat viel zusätzlichen Input miteingebracht, gerade was die Ausgestaltung und das Cover betraf oder wie wir beispielsweise technische Details beim Register gelöst haben. Da kam nochmals ein ganzer Kosmos an Ideen hinzu – und so wird man letztlich auch dem Thema gerecht. Nicht nur in einer thematischen Durchdringung, sondern auch durch die bestärkende Gestaltung. Denn über das Thema hinaus kann zusätzlich die Frage, wie wichtig Typografie eigentlich ist, nochmals anders beantwortet werden. Man kann sie im Buch sehen, anfassen, ertasten und riechen. 

Denkt Ihr immer in erster Linie an das Medium Buch, wenn Ihr an ein Forschungsprojekt herangeht?

PE: Ich glaube, es liegt in der Natur der Sache, dass man so große Forschungsprojekte, die viel Kraft kosten, in ein bleibendes Format gießen möchte. Das Buch, das darin enthaltene Wissen und die Gestaltung, wird so schließlich in vielen Bibliotheken oder im Privatbesitz einen Platz finden und diverse andere Formate überdauern. 

JN: Als großes Plädoyer für das Buch lässt sich in jedem Fall sagen, dass das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung dadurch eine unabänderliche Manifestierung erfährt. Ab einem gewissen Moment ist es schlichtweg nicht mehr editierbar. Vielleicht gibt es eine Auflage 2, aber zum Zeitpunkt X ist es eine eingefrorene unabänderliche Information und damit der Status Quo. 
Und: Wenn es gelingt, das Buch in ein Objekt zu verwandeln, das man behalten möchte, ist es ein inhaltlicher und Form gewordener Nachhaltigkeitsgedanke. Das geht vielleicht in der allgemeinen Debatte etwas unter – aber genau das ist Nachhaltigkeit. Wir müssen nicht jedes PDF in gedrucktes Papier verwandeln, aber wir müssen wesentliche Informationen nachhaltig gestalten. 

Das Buch als Wertschätzung des Inhalts?

IN: In jedem Fall. Natürlich sind wir von der Hochschule angehalten, auch elektronisch zu publizieren. Aber: Let’s face it! Überdauern werden die Bücher, das muss man einfach sagen. Die werden wir noch in vielen hundert Jahren auf dem Tisch haben, während elektronische Formate ganz schnell dem Untergang geweiht sind. Ich möchte mich natürlich nicht komplett gegen das elektronische Publizieren aussprechen, aber Materialität ist uns sehr wichtig. Über diese spricht ja auch der Inhalt. Manche Themen lassen sich selbstverständlich gut digital kommunizieren, aber für diese Forschungsthemen ist das gedruckte Buch das passende Medium, wenngleich wir andere Formen der Präsentation hinzuzuziehen.

PE: Man kann vielleicht sagen, dass das Buch der Kern ist. Und dann gibt es Satelliten, die dazu gehören – Ausstellungen oder Symposien, die über Social Media beworben werden sowie eine Website. All das spielt zusammen, aber zentrales Element ist das Buch sowie hier die englische Übersetzung. Diese ist elementar für die Verbreitung von relevanten Themen, etwa zur Designgeschichte Deutschlands. Es ist wichtig, Meilensteine in der Gestaltung ins Ausland zu kommunizieren.

Wie groß ist das Interesse Eurer Studierenden an der Buchgestaltung und -herstellung?

JN: Meine Studierenden im Fach Editorial Design sind diesbezüglich sehr enthusiastisch sind. Einfach deshalb, weil sich bei Büchern die Gestaltung nie vom Inhalt trennen lässt. Die Studierenden schlüpfen gerne in die Autorenrolle hinein und geben sich damit auch eine Carte blanche, um sich mit Inhalten zu befassen, die sie selbst in der Recherche eruieren können. Sie können hier ihren eigenen Neigungen nachgehen, selbst etwas dazu etwas sagen und den Inhalt ausfüllen. In der Gestaltung spürt man dann, wie erfolgreich und tiefgehend so eine Untersuchung war. Die Begeisterung ist in jedem Fall da!

Welche Rolle spielt für Euch persönlich Materialität in der Gestaltung?

JN: Eine große! Um beim Beispiel Moholy-Nagy zu bleiben – hier war die Materialität zentral. Im ersten Austausch war uns gleich klar, dass wir zwei verschiedene Papiersorten einsetzen, die den Ausstellungsbereich auch haptisch sowie in der Objekthaftigkeit unterteilen. Wir wollten, dass sich der Band sofort mitteilt und offenbart, mit welcher Art von Buch man es eigentlich zu tun hat. So sollte beispielsweise das Register möglichst gleich vorne sichtbar sein – hierfür haben wir sehr gekämpft und waren froh, dass es geglückt ist.

Hattet Ihr eine gute Beratung in der Druckerei oder ist das produktionstechnische Wissen an der Hochschule ohnehin vorhanden?

IN: Wir haben ein ganz gutes Fachwissen, weil wir an der Hochschule über eine eigene Buchbinderei verfügen. Aber darüber hinaus war die Zusammenarbeit mit dem Verlag, der Druckerei, der Herstellerin sehr gut – das geht ja Hand in Hand. Die Produktion war ein risikoreicher Ritt, weil die Art, wie der Inhalt in die Buchdecke eingearbeitet ist, erst erfunden werden musste und viele Details knifflig waren.

Haltet Ihr solch eine besondere Ausgestaltung für ein Buch heute für unabdingbar?

PE: Diese entsteht zwangsläufig aus dem Inhalt, aber auch aus dem Anspruch heraus. Was die technische Ausstattung angeht, gehört oft Mut dazu. Den braucht man natürlich auch für den Inhalt, wenn man beschließt, dass ein Buch fertig ist, genauso gedruckt und für die Zukunft eingefroren werden kann. Im Vorfeld sollte überlegt werden, was in puncto Qualität dem eigenen gestalterischen Anspruch entspricht. Schließlich möchte man das, was man lange entwickelt hat, auch selbst wertschätzen. 

IN: Und es gilt auch der Respekt vor dem Thema. In dem Fall vor dem Künstler – der Bauhausmeister Moholy-Nagy war als großer Allrounder nicht nur eine zentrale Figur in der Kunstwelt, sondern auch im Grafikdesign und der Typografie. Wichtig war uns, eine Wertigkeit einzubringen, aber keinesfalls Dinge zu imitieren oder nahtlos als Stilelement zu übernehmen. Wir wollten ein eigenes Statement setzen. 

PE: … und ein zeitgemäßes. 

IN: Ja, zeitgemäß und dies auch in der technischen Umsetzung vermitteln. Letztlich geht es darum, die sinnlichen Qualitäten eines Buches auszureizen, um ein Thema zu unterstreichen. Ich bin kein Fan von überbordenden Produktionen losgelöst vom Inhalt, es muss der Sache dienen. 

PE: Man könnte vielleicht sagen, das Buch muss ein Gebrauchsobjekt im besten Sinne sein. Eine zeitgenössische Haltung, die zugleich einem Qualitätsanspruch verpflichtet ist. 

Lasst uns nochmals zum Thema Nachhaltigkeit kommen. Müssen wir Bücher stärker als nachhaltiges Medium kommunizieren, damit es in der heutigen Diskussion als solches wahrgenommen wird?

JN: Zunächst müsste man Nachhaltigkeit genau definieren: Ist die Verwendung nachhaltiger Materialien gemeint? Eine besonders ökologische Herstellungsweise, Drucktinten, Papier etc.? Oder versteht man darunter die Ausstattung, durch die man einen Gebrauchsgegenstand hinterlässt, der eine lange Zeit überdauert und dem ebenso langlebigen Inhalt gerecht wird? Ich bin sehr dafür, keine Telefonbücher oder Gebrauchsanweisungen mehr zu drucken. Aber eine gewisse inhaltliche Qualität erfordert Wertschätzung. Damit geht auch eine Wahrnehmung einher, um ein anderes Publikum zu erreichen, als vielleicht geplant war. Das ist ein wichtiger Aspekt: Bücher, deren Signalwirkung nach außen verständlich ist, kann man aus ihrer Nische holen, um als Mitnahmeprodukt eine breite Zielgruppe anzusprechen. Da sind die Ausgestaltung und Materialität ganz entscheidend. 

IN: Zudem frisst ein vorliegendes Buch ja erst mal keine weitere Energie. Wir streamen den ganzen Tag – wer redet denn da über Nachhaltigkeit? Natürlich kann man auch im Buchbereich noch einiges verbessern. Wir hatten beispielsweise über das Einschweißen in Plastik diskutiert, für das es damals noch keine echte Alternative gab. Das Buch musste aber natürlich geschützt werden, weil die Buchhändler ein angestoßenes Exemplar nicht mehr verkaufen können. Es sind sicher noch Entwicklungen notwendig, aber wir achten bei der Materialwahl sehr genau auf nachhaltige Aspekte.   

»Zukunft braucht Raum, Kreativität, Papier und …«?

PE: Wir haben uns geeinigt auf: kritische Fragen!

Papier: Munken Print White