Nah am Menschen zu sein, ist die Maxime der vielfach ausgezeichneten Agentur Jäger & Jäger in Überlingen. Hier entstehen Erscheinungsbilder, die man nicht nur sehen, sondern erspüren kann. In einem Gespräch erzählt uns Regina Jäger, wie das im heutigen Medienmix gelingt.
Zunächst einmal: Was macht für Dich die Arbeit an Corporate Designs so reizvoll?
Ganz generell zeichnet sich die Qualität unseres Berufes für mich durch Begeisterungsfähigkeit für unterschiedliche Themen und Aufgabenstellungen aus. Gerade im Corporate Design muss ich die Fähigkeit mitbringen, mich in ganz unterschiedliche Hintergründe, in Firmen- und Entstehungsgeschichten sowie Markeninhalte einzuarbeiten. Ich muss in diesen Welten denken – dafür braucht es eine totale Begeisterung und auch ein gewisses Grundvertrauen in das Zusammenspiel von Kopf und Bauch.
Wie bedeutend ist Print heutzutage noch als Bestandteil eines CD?
Das hängt natürlich von der jeweiligen Marke beziehungsweise dem Produkt ab. In manchen Bereichen spielt Print eine nachgelagerte Rolle, in vielen anderen ist es wiederum von großer Bedeutung. Generell haben sich die Gewichtungen verschoben – man braucht zwar keinen dicken Katalog mehr, aber dafür schalten jetzt Onlinekonzerne wie Google oder Facebook wieder große Printanzeigen. Die Themen Haptik, Qualität, Nachhaltigkeit werden also für viele Auftraggeber wichtiger und stärken damit die Bedeutung von Materialität und Printkommunikation. Wir haben aktuell kein einziges Markenprojekt, bei dem Print nicht mindestens einen Anteil von 50 Prozent einnimmt.
Wird Haptik gerade auch durch die onlinegeprägte Pandemiezeit wichtiger?
Vor allen Dingen wird die Marke wichtiger! Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Menschen während der Corona-Zeit eher zu bekannten Marken greifen, weil sie sich damit »sicherer« fühlen. Das untermauert die Bedeutung einer guten Marke sowie einem guten Markenaufbau in allen Bereichen.
Was kann denn Haptik vermitteln, was das Grafische allein nicht zu leisten vermag?
Für uns ist die Haptik ein Teil des Selbstverständnisses einer Marke. Man kann ja nicht nicht kommunizieren – jedes Material, das ich auswähle, vermittelt automatisch eine Botschaft und trifft eine Aussage zu Marke, Produkt oder Projekt. Im besten Fall kontrolliere ich diese Botschaft, in dem ich genau überlege, was für das Markenverständnis der Auftraggeber*innen das Richtige ist.
Erklärt ihr die ausgewählte Haptik auch euren Kund*innen und gehen diese hier immer mit?
Ja, wir unterhalten uns mit unseren Auftraggeber*innen immer darüber, warum wir eine spezielle Materialität vorschlagen und wie wir diese in ihren eigenen Markenwerten und -zielen verankert sehen. Wir erklären, welche haptische Qualität oder Tönung des Papiers exakt passend für das Produkt oder Projekt wäre, auch, weil es extrem wichtig ist, hierfür ein Verständnis zu entwickeln. In den meisten Fällen wird das gut angenommen, verstanden und auch berücksichtigt.
Wie groß ist denn das Gespür für Haptik bei euren Kund*innen im Vorfeld?
Das Wissen um Materialität ist auf Auftraggeber*innen-Seite natürlich eher begrenzt. Wenn man aber an sehr hochwertiger Markenkommunikation arbeitet, gibt es auf Auftraggeber*innen-Seite schon ein unterschwelliges, gutes Gespür für das eigene Selbstverständnis. Wenn man sich hier austauscht, braucht es auch keine Fachtermini, um eine bestimmte Materialität oder Farbigkeit zu vermitteln, die in unseren Augen die Botschaft gut transportiert. Das führt auch dazu, dass generell mehr Sensibilität für das Thema geweckt wird und man nicht einfach bei der Druckerei nachfragt, ob gerade etwas Günstiges auf Lager ist.
Lässt sich Haptik im CD leichter vermitteln als Typografie?
Gute Frage. Typografie ist tatsächlich ein Thema, bei dem man stark sensibilisieren muss. Durch die permanente Verfügbarkeit kostenloser Fonts, müssen wir immer mehr erklären, dass Typografie in guter Qualität essenziell ist. Da hat man es tatsächlich beim Papier ein wenig leichter, wobei wir ohnehin in sehr hochwertigen Bereichen arbeiten und wir es deshalb durch unsere dortigen Ansprechpartner*innen leichter haben.
Typografie und Materialität sind jedenfalls zwei wichtige Themen für uns, die wir hegen und pflegen.
In euren Arbeiten spielt auch die Fotografie meist eine tragende Rolle …
Ja, das Aufspüren richtiger und authentischer Bildsprachen liegt uns sehr am Herzen, durch die auch Eigenheiten des Produkts sichtbar werden. Ob es nun ein wenig spreisseliger sein darf, wenn es um Nils Holger Moormann geht oder hochwertig, wenn es sich um Weine oder Spirituosen dreht. Wo entsteht das Produkt? Tief im Schwarzwald oder am Bodensee? Das alles sollte sich auch in der Bildwelt wiederfinden.
Auch hier läuft alles wieder auf das Thema Gespür oder Fühlen einer Marke hinaus.
Das ist auch ein zentraler Punkt, den man nicht vergessen darf: Oft werden Bauch und Kopf als Gegensatz oder Pole dargestellt – wir sind aber davon überzeugt, dass eine Marke nur funktionieren kann, wenn sie beide Bereiche anspricht.
Hast Du gerade ein konkretes Beispiel, bei dem die Materialität besonders wichtig war?
Wo die Qualität immer ein großes und zugleich schwieriges Thema ist, weil man produktionsbedingte Einschränkungen berücksichtigen muss, ist der Bereich Wein- und Sektetiketten. Welche Anforderungen stellt die Abfüllanlage? Wird es eine Nassklebung oder eine selbstklebende Variante sein? Muss das Etikett den Sektkühler aushalten? Hier gibt es schnell viele Einschränkungen, wobei man trotzdem eine bestimmte Haptik haben sowie mit Prägungen oder Veredelungen arbeiten möchte. Wir sind dann immer sehr glücklich, wenn wir die Qualität umsetzen können, die uns tatsächlich vorschwebt.
Ein weiteres Beispiel ist der Jubiläumsband für den Lackhersteller Wörwag. Hier kombinierten wir eine ungestrichene Sorte für den erzählerischen Teil mit einem passenden gestrichenen Papier für die Bildstrecken. Hinzu kamen Einhefter auf Werkdruckpapier und ein besonderes Highlight: Für die Kapiteleinstiege wollten wir unbedingt echten Autolack einsetzen – diesen brachten wir auf Folie auf und schufen damit zusammen mit der Papierauswahl einen überraschenden Effekt.
Für Brandhaus 7 entwickeltet Ihr hingegen eine sehr minimalistische Lösung.
Auch hier haben wir sehr darauf geachtet, dass die Materialität stimmig ist. Als Start-up konnte sich die Kundin kein sehr teures Verpackungsmaterial leisten. Die Besonderheit schufen wir, in dem wir mit dem Material einfach »inside out« gingen und somit das Thema Schwarzwald in seiner Robustheit gut kommunizieren konnten. Zusammen mit einem rauen Etikettenmaterial für die Brände entstand ein stimmiger Auftritt.
Du hattest schon das Thema Nachhaltigkeit angesprochen – wie groß ist der Aspekt bei Euren Kund*innen und wie sehr beeinflusst das eure Gestaltung?
Das ist sehr unterschiedlich. Für manche Auftraggeber*innen ist das ein Thema, das man schlichtweg berücksichtigen »muss«. Es gibt aber auch Auftraggeber*innen, für die Nachhaltigkeit eine absolute Überzeugung ist – keine von außen hereingetragene Anforderung, sondern eine Motivation von innen heraus. Für uns ist es in beiden Fällen gleichermaßen wichtig, das passende für das jeweilige Projekt herauszufinden. Wir möchten aber nicht als Nachhaltigkeitsagentur agieren und mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt laufen. Unsere Aufgabe ist es nicht zu belehren, sondern zu beraten, ergänzen und zu optimieren. Insofern versuchen wir als Agentur immer das richtige Maß für die Auftraggeber*innen auch in den Nachhaltigkeitsaspekten und Wertschöpfungskette zu finden. Und für uns selbst ist es eine entspannt-gelebte Praxis, so gut und nachhaltig wie möglich zu leben und zu arbeiten. Wir tun es aber einfach und kommunizieren es nicht permanent nach außen.
Wie lässt sich Nachhaltigkeit als Unternehmenswert denn in einem Corporate Design ausdrücken? Muss das über die Materialität passieren?
Es muss nicht, aber es kann natürlich. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Thema zu kommunizieren, erzählerisch oder visuell. Aber eben auch über das ausgewählte Material –warum sollte ich es gerade an dieser Stelle abreißen lassen? Wenn ich beispielsweise aus Überzeugung für den Transportweg meines Weins einen Klimaausgleich schaffe, dann werde ich natürlich auch Wert darauf legen, dass dieser in Öko-Leichtglasflaschen abgefüllt wird und meine Produktionsstraße optimiert ist. Und dann ist es wiederum eine logische Konsequenz, dass ich das in allen Print-Bereichen über eine bestimmte Haptik kommuniziere.
Was hat sich generell in den letzten zehn Jahren im CD verändert?
Die verkürzte Antwort darauf ist ja immer gern »das Digitale«. Dabei hat sich im Corporate Design eher eine unglaubliche Bandbreite in der Anwendbarkeit entwickelt – hier liegt die eigentliche Veränderung, die in alle Medien und Kanäle einfließt. Corporate Designs und ihre Ausarbeitung waren früher starrer in den Regeln; inzwischen können sie wesentlich lebendiger sein und vielfältiger gespielt werden. Da kommt den digitalen Medien zwar eine große Rolle zu, es ist aber das Zusammenspiel, das es letztlich spannend und stimmig macht.
Also hat die Digitalisierung zu einer flexibleren Gestaltung geführt?
Ja, wobei es natürlich darauf ankommt, was man aus dieser Flexibilität heraus entwickelt und wie die Medien genutzt werden. Ich glaube, hier ist momentan viel in Bewegung und Lerneffekte treten ein. Am Anfang ist man ganz begeistert in jedes soziale Medium hineingesprungen und hat wild kommuniziert. Inzwischen hat eine deutlich angenehmere, entspannte Art der gezielten Kommunikation Einzug gehalten. Man hat erkannt, dass man diesen Medienmix braucht.
Zukunft braucht Raum, Kreativität, Papier und …
… Begeisterung!